Die Phytotherapie oder Heilpflanzenkunde ist die älteste bekannte Therapieform überhaupt. Archäologische Funde belegen beispielsweise, dass bereits vor 60.000 Jahren Heilpflanzen wie Eibisch und Schafgarbe verwendet wurden. Doch wie hat sich diese Therapieform entwickelt und wie sieht es heutzutage damit aus?

Phytotherapie in Zeiten des wild wide web

Dass sich Menschen mit Heilpflanzen umgeben haben, kann bis in die Steinzeit zurückverfolgt werden: Archäologen fanden in den Resten steinzeitlicher Bauten Samen von verschiedenen auch heute noch bekannten Heilpflanzen. Vieles spricht also dafür, dass die damaligen Menschen diese angebaut und auch genutzt haben.

Doch woher stammte das Wissen, welche Pflanzen gut für den Menschen waren und welche Kräuter bei welchen Krankheiten halfen? Schließlich hatten die Menschen damals weder eine Schulbildung noch das heute allgegenwärtige Internet…

Das world wide web gab es damals zwar noch nicht, aber es existierte etwas, was ich gerne als wild wide web bezeichne: Ein Zusammenspiel der wilden Natur, von dem sich die damaligen Menschen, die sich noch darauf verstanden zu beobachten und aus dem Gesehenen ihre Schlüsse zu ziehen, allerhand abschauten. Vielleicht beobachteten sie Tiere, die – normalerweise als Fleischfresser bekannt – gelegentlich bestimmte Pflanzen fraßen. Und denen es anschließend besser zu gehen schien. Diese Pflanzen wurden dann ebenfalls gepflückt und ausprobiert. Und bei Erfolg regelmäßig gesammelt, bis sie schließlich auch angebaut wurden.

Pflanzenheilkunde vor unserer Zeit

Der erste schriftliche Beleg über den Umgang mit Pflanzenheilkunde stammt aus Ägypten und wird auf etwa 2500 Jahre vor christlicher Zeitrechnung datiert. Weitere, bei Ausgrabungen gefundenen Papyrusrollen, weisen darauf hin, dass es im damaligen Ägypten viele Heilpflanzenkundige gegeben haben muss und die Verwendung von Heilkräutern allgegenwärtig war.

Dieses Wissen wurde dann von Volk zu Volk, von Generation zu Generation und von Land zu Land weitergetragen. Beispielsweise gibt der griechische Arzt Hippokrates in seinen Schriften genaue Anleitungen für die Verwendung verschiedener Heilkräuter. Aristoteles, der in einem seiner Werke ungefähr 455 Pflanzen beschrieb, gilt sogar als Vater der Botanik. Und der Römer Dioskurides verfasste eine Arzneimittellehre, die unter anderem aus 8000 Pflanzen bestand und bis ins sechzehnte Jahrhundert richtungsweisend war.

Phytotherapie im Mittelalter

Waren im Altertum Heilpflanzen und ihre Verwendung bei Krankheiten noch hoch angesehen, kam man im Mittelalter fast gänzlich davon ab. Krankheiten wurden nun als Strafe Gottes betrachtet oder gar als angehext. Deswegen wurde Heilung auch in Form von Gebeten und Segenssprüchen gesucht. Heilpflanzen wurden nur noch in Klöstern angebaut und von Mönchen bei verschiedenen, jedoch eher seltenen Indikationen verwendet – Aderlässe oder Schröpfungen wurden der Behandlung mit Heilkräutern vorgezogen. Zu einem entsprechenden Preis…

Die ärmeren Teile der Bevölkerung, die sich diese Behandlungen nicht leisten konnten, blieben – meist heimlich – bei den Heilpflanzen oder gingen zu den sogenannten weisen Frauen. Das waren Heilkräuterkundige, die sich das Wissen um die Heilkraft der Pflanzen bewahrt hatten und ihre Hilfe bei verschiedenen Krankheiten und Gebrechen zu einem meist sehr geringen Preis anboten. Was von der höhergestellten Gesellschaftsschicht und den Geistlichen mit Misstrauen begegnet wurde. Als Resultat kam es zu den Hexenverbrennungen, bei denen nicht nur viele unschuldige Frauen und Männer in den Flammen den Tod fanden, sondern auch viel Wissen um Heilkräuter und ihre Verwendung verloren ging.

Die Heilpflanzen Paracelsus

Eine Wende kam mit dem Schweizer Arzt und Naturforscher Theophrastus Bombastus von Hohenheim, auch Paracelsus genannt. An der Wende vom Mittelalter zur modernen Neuzeit nutzte er vorwiegend Heilpflanzen zur Therapie von Krankheiten und gilt damit als Begründer der modernen Naturheilkunde. Sein Motto lautete: „Alle Wiesen und Matten, alle Berge und Hügel sind Apotheken“.

Er sprach sich auch gegen den übermäßigen Gebrauch fremdländischer Heilpflanzen aus, denn er war der Überzeugung, dass jedes Land mit den einheimischen Gewächsen die vorkommenden Krankheiten heilen konnte. Paracelsus war zudem ein sehr genauer Beobachter und unermüdlicher Forscher. So entwickelte er ein System, Heilpflanzen nach ihrer äußeren Gestalt für bestimmte Krankheiten beziehungsweise zur Verbesserung der Funktion einzelner Organe einzusetzen. Damit gilt er auch als Begründer der Signaturenlehre.

Phytotherapie im Kontext der Pharmaindustrie

Im neunzehnten Jahrhundert wurde durch die Isolation der ersten Pflanzenwirkstoffe eine neue Ära in der Phytotherapie eingeläutet. Der erste Wirkstoff, der aus einer Pflanze isoliert wurde, war das Morphin, welches zuerst noch als „das schlafmachende Prinzip“ des Mohns bezeichnet wurde. Daraufhin dauerte es nicht mehr lang, bis erste Versuche gestartet wurden, pflanzliche Wirkstoffe in Laboren synthetisch nachzubilden. Die Pharmaindustrie war geboren.

Heutzutage jedoch wird wieder der Ruf zu mehr Natur und Natürlichkeit laut. Viele Menschen nutzen zur Prophylaxe und zur Verbesserung ihrer Gesundheit pflanzliche Heilmittel. Und auch in der Therapie selber oder als Begleitung bei notwendiger, schulmedizinischer Medikation werden pflanzliche Heilmittel – entweder als Phytopharmaka oder als Heilkraut im Ganzen – verwendet und sogar von Ärzten verschrieben!

Der Grund dafür liegt auch in der kontinuierlichen Forschung zugrunde. Phytotherapeutika sind mittlerweile auf hohem wissenschaftlichen Niveau erforscht, mit dem Ergebnis, dass die Inhaltsstoffe vieler Pflanzen in ihrer Wirksamkeit verifiziert worden sind (zum Beispiel von der ESCOP und der Kommission E. Zwar ist die Wirksamkeit (noch) nicht aller pflanzlichen Inhaltsstoffe bestätigt, doch es setzt sich mehr und mehr die Erkenntnis durch, dass eine Heilung nicht nur durch eine isolierte und synthetisch erzeugte Komponente des pflanzlichen Wirkstoffes geschieht, sondern durch die Gesamtheit der Substanzen in einer Pflanze.

Jeder kann sich mit Heilpflanzen beschäftigen

Kein Wunder also, dass mittlerweile viele Frauen und Männer als Kräuterweiber und -mannen unterwegs sind und Seminare, Exkursionen und vieles mehr rund um Heilpflanzen anbieten. Auch Bücher über Phytotherapie gibt es viele, die neben wissenschaftlichen Befunden praktische Hinweise über die Verwendung von Heilpflanzen geben.

Denn jede*r von uns kann sich mit Phytotherapie beziehungsweise den Heilpflanzen beschäftigen. Und das muss nicht zwangsläufig als Heilpraktiker und Naturheilkundiger sein. Sondern einfach indem man raus in die Natur geht, sich den Pflanzen annähert, diese gegebenenfalls auch sammelt und dann beispielsweise in der eigenen Küche verwendet – das jedoch bitte nur, wenn man tatsächlich Pflanzen voneinander und vor allen von ihren unter Umständen giftigen Vertretern unterscheiden kann!

So erhält man nicht nur ein gesundes Maß an Bewegung und erweitert sein Wissen, sondern erfährt überdies wie die Natur als Kraftquelle wirkt!

Damit wünsche ich Dir nun ganz viele entspannte Natur-Momente und zudem viel Spaß bei der Annäherung an die Phytotherapie und die Heilpflanzen,
Heidemarie